Jana Kießer
Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen
Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen
Ein fotografischer Dialog während der Corona-Pandemie mit Notizen, Gedanken, Erinnerungen und Träumen – März 2020 bis Mai 2021
Jana Kießer (Berlin) und Annemie Martin (Insel Reichenau)
Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen
Ein fotografischer Dialog während der Corona-Pandemie mit Notizen, Gedanken, Erinnerungen und Träumen – März 2020 bis Mai 2021
Unsere Serie „Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen” reflektiert das veränderte alltägliche Leben während der Corona-Pandemie in Form eines fotografischen Dialogs mit persönlichen Texten. Meist 800 Kilometer voneinander entfernt – Annemie verbrachte einen Großteil der Coronazeit auf einer Insel im Bodensee, Jana in Berlin – führten wir den Dialog mehr als ein Jahr lang.
Wie erleben wir die Pandemie auf dem Land, wie in der Stadt?
Wir haben Bilder für den Dauer-Ausnahmezustand gefunden: In assoziativen, poetischen Fotografien zeigen wir einander unsere Umgebung; der Bewegungsradius ist klein geworden und wird genau beobachtet. Persönliche Tagebucheinträge geben Einblick in innere Monologe. Flüchtige Gedanken, Erinnerungen und Träume bieten den Lesenden Projektionsflächen und setzen sich immer wieder mit dem Ist-Zustand der Pandemie auseinander – Zukunftsängste, Einsamkeit, Schicksalsschläge – wie wirkt sich diese Zeit im Privaten aus?
Im August 2021 erschien der fotografische Dialog als Buch bei SHIFT BOOKS. Das Buch enthält auch Raum für eigene Notizen der Lesenden – wir alle erleben diese einschneidende Zeit und dennoch macht jede*r eigene Erfahrungen. Im November 2021 wurde unser Buch mit dem Deutschen Fotobuchpreis in Bronze ausgezeichnet. Hier könnt ihr das Buch bestellen!
On potato-roses and burning treetops
A photographic dialogue during the Corona pandemic with notes, thoughts, memories and dreams –
March 2020 to May 2021
The series "On potato-roses and burning treetops", by Annemie Martin and Jana Kießer, reflects on the change of everyday life during the Corona pandemic in the form of a photographic dialogue and personal notes. Largely 800 kilometers apart – Annemie spent most part of the Corona time on an island in Lake Constance, Jana in Berlin –
the two photographers held the dialogue for over a year.
What is the experience of the pandemic like in the countryside, what is it like in the city?
Annemie Martin and Jana Kießer found images for the permanent state of emergency: In associative, poetic photographs, they show each other their surroundings; the range of movement has become narrow and therefore is closely inspected. Personal diary entries provide insight into inner monologues. Fleeting thoughts, memories and dreams offer the reader space to reflect by repeatedly dealing with the current state of the pandemic – anxiety about the future, loneliness, blows of fate – how does this time affect the personal life?
In August 2021, the photographic dialogue was published by SHIFT BOOKS. The book also contains space for reader's notes – we all experience this drastic time and yet everyone has their unique experience.
In November 2021 our book was awarded with bronze by the German Photobook Prize! You can order the book here!
Haben wir den gelben Knopf schon gedrückt? Meine Oma ist 89 und schwer herzkrank. Ein Familienmitglied ist immer da, hilft ihr und unterstützt sie bei ihrem Tagesablauf. Am Arm trägt sie schon seit Jahren den sogenannten Knopf. Wenn was wäre, könnte sie den drücken. Manchmal kommt sie aus Versehen drauf oder eines ihrer unzähligen Enkel- oder Urenkelkinder drückt drauf. Dann meldet sich eine Stimme des Roten Kreuzes über eine Anlage, die im Flur hängt. Nicht zu überhören. Morgens und abends muss sie den gelben Knopf dieser Anlage drücken. Man drückt ihn, eine Roboterstimme ertönt: „Sicherheitsuhr zurückgestellt” und man macht ein Kreuzchen in ihrem selbstgezeichneten Plan, dass man ihn gedrückt hat. Damit man nicht doppelt drückt oder gar nicht. Alles hat System hier. Als mein Opa noch lebte, hatten die beiden mal vergessen zu drücken. Dann kamen die Sanitäter*innen vorbei und haben nachts nach dem Rechten geschaut. Davon haben die beiden aber gar nichts mitbekommen. Vermutlich hatten sie ihre Hörgeräte rausgenommen.
Annemie – 23. März 2020
Ich bin gerne allein. Ich werde immer ruhiger und lockere meine ständige Anspannung. Ich denke häufiger: „Das kann ich auch morgen machen.” Weil ich weiß, ich werde mindestens drei Wochen Zeit haben, bis wir wieder arbeiten können. Wahrscheinlich länger.
Jana – 24. März 2020
Der obere Stock des Hauses wird kaum mehr benutzt. Früher noch von meinen Großeltern, aber seit die Treppen zum Hindernis wurden, spielt sich das meiste ebenerdig ab. Die Rollläden werden hier demnach auch nicht regelmäßig bewegt und ich denke es hat sich eine Wespengroßfamilie in einem der Rolladenkästen eingenistet. Ab und zu begegnet man nämlich einer und ich frage mich immer, wie die hier reinkommen.
Das Motiv gefiel mir gleich gut als Antwort auf dein Bild, denn in dem Baum könnten sie auch wohnen.
Annemie – 18. April 2020
Durch das geöffnete Küchenfenster klingt eine Blockflöte und ich freue mich, dass ich musikalische Nachbar*innen habe. Der laute Alltag ist verstummt, keine rumpelnden Palettenlieferungen im Hinterhof, keine quatschenden Start-up Mitarbeitenden, die sich in Gruppen zum Mittagessen verabredet haben – dafür Vogelgezwitscher. Ich glaube, es singt eine Amsel.
Jana – 19. April 2020
Mittlerweile kenne ich einige Leute, die schon geimpft wurden. Freundinnen, meine Schwester, meine Mutter – weil sie systemrelevant sind oder Angehörige pflegen. Das gibt mir Hoffnung, dass ich auch bald dran sein könnte. Ab Juni soll die Impfpriorisierung aufgehoben werden. Aber ich gebe zu – ich verspüre schon Neid, wenn ich bei Instagram sehe, wer alles Impfpässe und Pflaster auf dem Arm postet. Ich frage mich immer: „Sind doch so alt wie ich, wir sind doch noch gar nicht dran?!" Aber dann denke ich „Vielleicht sind sie in der Risikogruppe oder systemrelevant oder pflegen Angehörige. Ich gönne es auch allen! Ich freue mich für sie! Ich will niemanden verurteilen, aber ich verspüre trotzdem Neid. Einfach, weil ich auch gerne schon dran wäre. Geimpfte sollen alte Freiheiten zurückbekommen, wie: sich mit mehreren Haushalten treffen dürfen, Reisen ohne Quarantäne, Läden betreten ohne negativen Test. Ist doch klar, dass wir diese Freiheiten alle so schnell wie möglich wollen!
Jana – 06. Mai 2021
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